Ostern 1945 Marl

Das Rätsel um den "Retter von Marl"





Kriegsende 1945 in Marl (H.Struck)

Aufzeichnungen von Heinrich Struck, eigene Tagebuchaufzeichnungen, später ergänzt durch nachträgliches Wissen. (Weder im Adressbuch 1937 noch 1957 ist ein1945 10jähriger Heinrich Struck zu finden, allerdings 1937 ein Theodor, Amtssekretär, 1957 Amtsoberinspektor…KM)

29.03.1945
Gründonnerstag

Morgens um ca. 9.30 bis 10.00 Uhr wird eine bespannte Kolonne der 180. Infanterie Division der Wehrmacht auf der Hervester Straße von US-Jagdbombern angegriffen. Es gibt Verluste unter den Soldaten und den Zugpferden der Einheit. Im Raum Buer-Hassel-Polsum schwere Kämpfe zwischen den Spitzen der 79. US-Infanterie Division, der 8. US-Panzer Division sowie Teilen der 116. Panzer Division (Windhund Division) und von schwachen SS-Einheiten (Versprengte).

Um ca. 14.00 bis 14.30 Uhr im Norden von Marl schwere Detonationen. Wie sich später herausstellte, wurden die Brücken über den Lippe-Seiten-Kanal und auch die Lippebrücke im Dorf Hervest von der Wehrmacht gesprengt.

Am Nachmittag um ca. 15 Uhr treffe ich am Haus des Viehhändlers Heinrich Kortmann eine Kampfgruppe der 116. PD. Etwa 15 bis 20 Männer mit einem Sturmgeschütz, einem SPW und zwei VW-Kübelwagen, einer davon war der Schwimmkübel.

 

Am späten Nachmittag um ca. 17 Uhr wird das Volkssturm-Bataillon „Widukind“ auf dem Hof der Berufsschule in Alt-Marl, Wilhelm-Gustloff-Straße, verabschiedet und marschiert mit drei Kompanien zum Einsatz ab. Chef des Bataillons ist der Ritterkreuzträger Wilhelm Haxter aus Marl-Sinsen. Kompanieführer unter anderem auch der Rektor der Overbergschule Anton Spangemacher. Einer seiner Männer der 1. Kompanie war der allseits bekannte Bergmann und Schwimmmeister Max Jasinski aus Brassert.

30.03.1945
Karfreitag

Um ca. 11.00 bis 11.30 Uhr US-Jagdbomber-Angriff auf Alt-Marl. Im Ortskern des Dorfes brennen ein halbes Dutzend Häuser ab. Schmiede Clemens Haumann, das Haus Erwig (Reichen-Erwig), Bäckerei Schnitzler (Buss), das Haus Schäfer (Schuster Heini Schäfer), Sattlerei Bernhard Wüller, Bäckerei Wüller und diverse Nebengebäude. Keine Verluste unter der Bevölkerung. Feuerwehr nicht mehr im Ort, schon seit einigen Tagen nach Osten verlegt. In der Brennerei Prost wird geplündert, sowohl von Soldaten der Wehrmacht wie von Zivilpersonen. Der Verwalter der Brennerei hat sich ins Emsland abgesetzt Ober (Orts-)bauernführer und Mitglied der schwarzen SS Arthur Prost.

31.03.1945
Karsamstag

Morgens um 6.00 Uhr mit Amerikanern, zwei Offizieren mit Fahrer in einem Jeep, gesprochen, die mich gebeten haben, den Bunkerwart im Hochbunker gegenüber dem Feuerwehrhaus zu warnen. Herr Althoff, der Bunkerwart, wurde informiert, dass die Amerikaner aus Sicherheitsgründen Alt-Marl mit Artillerie beschießen. Es sollte niemand den Hochbunker verlassen [Struck: Sie gaben mir eine Tafel Schokolade als „Belohnung“ und ein Päckchen Zigaretten für den Bunkerwart, damit der überzeugt war, dass die Warnung tatsächlich von den Amerikanern kam. Die Zigaretten habe ich dennoch behalten, davon haben wir dann durch Tausch in den nächsten Tagen gelebt]. Um ca. 7.10 bis etwa 7.40 Uhr schoss die Army Trommelfeuer, teilweise mit Brandmunition.

Es gibt hohe Gebäudeschäden, insbesondere auf der Riegestraße in Höhe des heutigen Betriebshofes der Stadt Marl. Zudem auch noch Verluste unter der Zivilbevölkerung (unter anderem der Tierarzt Dr. Seifert, Breitestraße).

Etwa um 8.00 Uhr fühlt US-Infanterie mit Panzerunterstützung bis etwa Höhe Lindenhof bzw. bis zur Straßenbrücke über den Mühlenbach vor. Einige Wagen drehen vor Alt-Marl links in die Riegestraße ab und versuchen über den Feldweg im Hembrauk ins Dorf zu kommen. Da die Brücke über den Bach gesprengt ist, fahren sich zwei oder drei Sherman-Panzer im Sumpfgebiet vor dem Bach fest. Die Besatzungen steigen aus und schließen sich der Infanterie am Lindenhof an. Nachdem die Straßenbrücke geprüft wurde, rollen die ersten Kampfwagen mit aufgesessener Infanterie ins Dorf.

 

Am Nachmittag des Karsamstags Feuerüberfall der deutschen Artillerie von Osten her (Raum Recklinghausen). Es gibt erneut Verluste unter der Zivilbevölkerung (unter anderem Herr Vortmann von der Dorstener Straße, er ist sofort tot). Verletzte werden von den US-Truppen zum Hof Dorlöchter [?] an der Straße von Marl nach Altendorf gebracht. Bis Mitte April 1945 war dort ein US-Feldlazarett. Alle Zivilpersonen wurden dort auch behandelt und versorgt.


01.04.1945
Ostersonntag

Wir glauben, dass der Krieg für uns vorbei ist. Die Lage hat sich beruhigt. Einzelne Plünderungen durch freigelassene Ostarbeiter im Dorf. Amerikaner schreiten teilweise ein und verhindern größere Ausschreitungen. Stadtkommandant wird eingesetzt. Der Bürgermeister Dr. Willeke übergibt das Rathaus an die US-Armee. Der Stadtkommandant, ein Captain, ist Deutsch-Amerikaner. Paul Eichmann wird von ihm als Oberbürgermeister eingesetzt. In der Georgskirche um 11.00 Uhr eine Hl. Messe. Alle Fenstergläser sind zerstört. Auf dem Kirchhof liegt noch ein Toter (Leiche ist geschrumpft durch Verbrennen). US-Armee richtet an der Dorstener Straße, zwischen den Häusern Döweling und der Gärtnerei Börmann einen Feldflughafen ein, der für die Heeresflieger genutzt wird (Artilleriebeobachter). Der Platz wurde bis etwa 6. bzw. 8. April 1945 genutzt. In den städtischen Häusern Schillerstraße 29-51 waren vom ersten Ostertag bis zum 4. April 1945 ein Bataillon der 8. US-PD einquartiert. Die Fahrzeuge standen zwischen den Häusern bzw. in den Gärten, mit Front zur Straße. Über Alt-Marl verteilt gab es weitere Beschlagnahmen von Wohnraum, die jedoch meistens nach den Ostertagen rückgängig gemacht wurden. US-Truppen marschierten weiter nach Osten.

 

N.B.: Am 7. März 1945 stand die 1. US-Armee noch linksrheinisch vor Remagen, in diesem Verband auch die 8. US-Panzer-Division und die 79. US-Infanterie-Division. Beide Truppenteile der US-Armee waren die Gegner der deutschen 180. Und 190. Infanterie-Division und der 116. Panzer-Division im Großraum südlich der Lippe. Dazu gehörten insbesondere die Stadt und Orte wie Dinslaken, Kirchhellen, Dorsten, Gladbeck, Buer-Hassel, Polsum, Marl und Kirchhellen. Am 29.März lag der Rgt.Gef.St. des Panzerregiments 156 der 116. Panzer-Division im Haus Drees am Rammesbrauck in der Bauernschaft Kotten.