Ein Ende und ein Beginn (Marl in den 50ern)


Zur Einführung:

  (Bürgermeister Rudi Heiland (r.) und Stadtdirektor Dr. Karutz (l.) begrüßen den Bundespräsidenten Prof. Theodor Heuss in der Insel im Juni 1956.  In: (Q): Marlaktuell, Samstag, 27.12.2016, Dietmar Grone (dug), Gert Eiben (eib), Dieter Küppers)

 

Das falsche Leben des Stadtdirektors

(Marl.) ... Kaum jemand erinnert sich an den Skandal, den in den 1950er Jahren der damalige Marler Stadtdirektor Dr. Karutz auslöste. Auch er hatte mit einem gefälschten Lebenslauf die Marler Politiker getäuscht – und zu Tränen gerührt.

Als sich Dr. Karutz im Sommer 1955 vorstellte, waren seine Zuhörer erschüttert.

Nach der Machtübernahme durch die Nazis hätte er 18 Monate in einem Konzentrationslager gesessen (weil er einen Meineid geleistet hätte, um Juden zu schützen). KZ-Ärzte hätten 1941/42 ihn zu Menschenversuchen mit Tbc-Bakterien auf Wyk/Föhr missbraucht. Das 3. Reich habe es sich aber nicht leisten können, einen Mann wie ihn im Hinblick auf seine Auslandsbeziehungen im KZ sterben zu lassen.

Diese Schilderungen hatten den Rat beeindruckt, im August 1955 wählte er diesen „aufrechten Demokraten“ zum obersten Gemeindebeamten.

Tatsächlich war Karutz nie in einem Konzentrationslager, die Anerkennung als Opfer des Faschismus war ihm 1951 entzogen worden. Seinen Dr.-Titel hatte er 1941 verloren, weil er das Vermögen von Juden unterschlagen hatte (durch einen Formfehler nach dem Krieg erhielt er ihn zurück).

Bei der Einstellung waren dem stellvertretenden Amtsdirektor, Amtsrechtsrat R., Ungereimtheiten in den Bewerbungsunterlagen aufgefallen. Als er dem nachging, ging der Schuss nach hinten los: Die Amtsverwaltung stellte Strafanzeige gegen ihn (nicht Karutz! KM) wegen Verleumdung und übler Nachrede. Der Prozess zog sich über viele Jahre hin. R. wurde freigesprochen, doch sein Arbeitsverhältnis wurde nicht fortgesetzt.

Die Hintergründe um das frühere Leben von Dr. Karutz weiterhin blieben unklar. Die CDU forderte ein Disziplinarverfahren gegen Karutz und stellte einen Antrag auf Rücknahme seiner Ernennung zum Amtsdirektor – und scheiterte.

Die SPD stellte daraufhin gegen 24 CDU-Ratsmitglieder Strafantrag wegen Verleumdung – und scheiterte ebenfalls.

Der Streit schlug sich auf die Gesundheit des Amtsdirektors nieder. Ende 1959 wurde seine dauerhafte Dienstunfähigkeit festgestellt, Ende März 1960 wurde er in den Ruhestand versetzt.

Erst drei Jahre später, 1963, gingt es um die Frage, ob Karutz Betrug (Anstellungsbetrug) begangen hatte, zunächst vor dem Amtsgericht Marl und dann vor dem Landgericht Essen. Der Ex-Stadtdirektor verteidigt sich, er sei nur falsch verstanden worden. Die Gerichte meinten: Er habe sich bei der Bewerbung nicht „eines täuschenden Verhaltens schuldig gemacht“, so dass der Stadt kein Vermögensschaden entstanden sei, K. sei nicht für das Amt untauglich gewesen. Seine Lügen ließen lediglich Schlüsse auf seine „charakterliche Ungeeignetheit“ zu.

Bei seinem Nachfolger Dr. Ernst aus Bremerhaven gingen die Marler Politiker auf Nummer sicher. Der war 1951 schon mal Kämmerer des Amtes gewesen, wenn auch nur für sieben Monate.

(Q): Marlaktuell, Samstag, 27.12.2016, 

Dietmar Grone (dug), Gert Eiben (eib), Dieter Küppers)

 



(aus: U.Brack u. K.Mohr, Neubeginn und Wiederaufbau, Essen 1994, S 35 ff.)